Kwibuka – erinnern, vereinen, erneuern

30 Jahre nach dem brutalen Völkermord in Ruanda reiste Ministerpräsidentin Malu Dreyer mit einer Delegation aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im April nach Afrika. Die beiden Länder verbindet seit 42 Jahren eine Graswurzelpartnerschaft. Es gibt wohl keinen Landkreis in Rheinland-Pfalz, der keinen Freundeskreis hat. Mit mehr als 2.500 gemeinsamen Projekten, 50 Ruanda-Vereinen, zwölf Kirchen, etwa 50 Kommunal- und 194 Schulpartnerschaften, gibt es eine solche Partnerschaft in Deutschland kein zweites Mal …

Noch unter dem Eindruck der Reise sagte Malu Dreyer nach ihrer Rückkehr: „30 Jahre nach dem schrecklichen Völkermord bin ich dankbar, dass wir heute im rheinland-pfälzischen Landtag diesen Moment des Gedenkens und des Trauerns mit den Überlebenden um die Opfer haben. Es war gut und wichtig, dass sich die Menschen in Rheinland-Pfalz, die Parlamente und die Regierungen nicht von ihrem Partnerland abgewandt, sondern ganz bewusst zugewandt haben.“ Es sei ihr und ihrer Delegation ein großes Anliegen gewesen, den Freunden und Freundinnen in Ruanda in der Trauerzeit „Kwibuka 30“ zu zeigen, dass sie an ihrer Seite stehen.

In einer Plenarsitzung des rheinland-pfälzischen Landtags mit einem Gedenken an die Opfer des Genozids berichtete die Ministerpräsidentin von ihrem Zusammentreffen mit hochbetagten Menschen, die als einzige ihrer Familie überlebt haben, mit Frauen, die ihre Kinder verloren haben und brutal vergewaltigt wurden und sich nach den Morden gegenseitig Mut gemacht und Hilfe geschenkt haben. Tief berührt zeigte sie sich auch von den Worten des Präsidenten Paul Kagame der gesagt habe, sein Land stehe tief in der Schuld der Überlebenden, weil sie das Unmögliche leisten müssten, nämlich Versöhnung mit den Tätern.

„Von der Geschichte Ruandas als auch unserer eigenen zu lernen, heißt auch zu begreifen, wie wichtig es ist, sich jeder Form von Hass und Diskriminierung entgegenzustellen und dessen Ausbreitung zu verhindern.“, so Malu Dreyer. Sie habe sich mit ihrer Delegation auf der Reise intensiv mit dem Thema Friedens- und Konfliktforschung befasst, wie aus Hassrede und Propaganda brutale Gewalt entstehe und was man tun könne, um Konflikte frühzeitig zu erkennen. „Aus unseren Begegnungen werden neue Kooperationen in der Friedens- und Konfliktforschung mit der Friedensakademie Rheinland-Pfalz entstehen“, so die Ministerpräsidentin weiter.

Die Trauerzeit in Ruanda habe unter der Überschrift „Gedenken, Vereinen, Erneuern“ gestanden. Ruanda sei ein junges Land mit einer Bevölkerung, von der 75 Prozent jünger als 35 Jahre sei. Für die Post-Genozid-Generation solle es keine ethnische Trennung mehr geben. Die junge Generation solle ein neues, ein geeintes Ruanda aufbauen. Bildung bleibe deshalb eines der wichtigsten Themen in Ruanda. „Bildung ist das Herz der Jumelage. 194 aktive Schulpartnerschaften und 700 Schulen, die mit rheinland-pfälzischer Unterstützung entstanden sind, zeigen das deutlich. Der Partnerschaftsverein hat im Februar das Partnerschaftsabkommen erneuert und auf unserer Reise haben wir Verabredungen für eine gemeinsame Strategie zur Fachkräftegewinnung sowie zur Lehrerfortbildung getroffen und weitere Unikooperationen angestoßen“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Zukunft könne nur mit dem Verständnis für die Vergangenheit aufgebaut werden. „Wenn wir heute sehen, wie das Bemühen um eine friedliche und versöhnliche Zukunft für die Menschen in Ruanda Schritt für Schritt Erfolg hat, ist das ein Ansporn, unsere Graswurzelpartnerschaft weiter intensiv zu leben“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Sie dankte allen Parlamentariern, Kommunalen und den Bürgern und Bürgerinnen, die diese einzigartige Partnerschaft auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt ausfüllen.

Eindrücke der Ruandareise

Die Delegation erlebte Ruanda in der Regenzeit. In intensiven Farben erstrahlten seine 1.000 Hügel und die Luft war so klar, dass man schon kurz hinter Kigali die 4.000 Meter hohen Virunga-Vulkane im Norden des Landes sehen konnte. Sie sind Heimat der berühmten Berggorillas. Das Straßenbild wirkte malerisch: Ruanderinnen in farbenprächtigen Kleidern, Motorradtaxifahrer mit knallroten Helmen. Gute Infrastruktur, Sicherheit und die freundlichen Menschen haben die Hauptstadt Kigali zu einem bedeutenden Kongresszentrum entwickelt.

Was man in diesen Tagen nicht sehen, sondern nur fühlen konnte, ist ein tiefer Schmerz, den die Menschen still ertragen. Ihre Erinnerung an Verfolgung, Angst und Leid, an die Schreie der Opfer spürte man in den Gesprächen 30 Jahre nach dem schrecklichen Völkermord in dem kleinen ostafrikanischen Land. 100 Tage Inferno. Mehr als 800.000 Menschen wurden auf brutalste Weise getötet: Männer, Frauen, Greise und Kinder. Die meisten von ihnen gehörten zur Volksgruppe der Tutsi. Am 7. April 1994 begann das systematische Massen-Morden. Jetzt – 30 Jahre später – gedenkt das Land der Opfer und der Überlebenden. Die Trauerzeit „Kwibuka 30“ will erinnern, vereinen, erneuern.

„30 Jahre nach dem schrecklichen Völkermord stehen die Partnerländer Ruanda und Rheinland-Pfalz im Gedenken zusammen. Wir trauern mit den Überlebenden um die Opfer. Sie sind nicht vergessen und sie dürfen nicht vergessen werden. Ich bewundere die Überlebenden für ihre Kraft zur Versöhnung“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer nach dem nationalen Trauerakt in Kigali. Zusammen mit Delegationsmitgliedern hat sie der Gedenkveranstaltung beigewohnt. Viele Staatschefs und -chefinnen sowie hochrangige Vertreter und Vertreterinnen aus Afrika, Asien, den USA und aus Europa waren am 30. Jahrestag des Ausbruchs des Genozids nach Ruanda gekommen, um Anteilnahme und Solidarität zu zeigen. Präsident Paul Kagame sagte, sein Land stehe in der Schuld der Überlebenden: „Wir baten Euch um das Unmögliche“ – nämlich Versöhnung mit den Tätern, „damit Ruanda wieder als geeinte Nation auferstehen kann. Sie tragen die Bürde der Versöhnung.“ Er mahnte zugleich, dass sich sein Land nie wieder auf den Schutz anderer verlassen werde. Die internationale Gemeinschaft hätte den Völkermord verhindern können, sei aber tatenlos geblieben. Die Weltgemeinschaft habe dem Völkermord tatenlos zugesehen.

Schwierige Partnerschaft in Zeiten des Genozids

Rheinland-Pfalz ist seit bald 42 Jahren Partnerland von Ruanda. Nach dem Genozid war nicht klar, ob es eine Zukunft für die Partnerschaft geben könne. Viele der Freunde und Projektpartner waren getötet, andere waren Mitläufer oder sogar Anführer der Todes-Milizen geworden. Der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber war der erste Politiker aus Deutschland, der nach dem Genozid im Oktober 1994 das zerstörte Partnerland besuchte, und der damalige Leiter des Koordinationsbüros in Kigali, Rudolf Fischer, gehörte zu den ersten Ausländern, die wieder ins Land kamen. Fast 100 Tage lang war das Koordinationsbüro das rettende Versteck. Heute sind die meisten der 150.000 verurteilten Mörder des Genozides aus den Gefängnissen entlassen. Eine wichtige Voraussetzung sei gewesen, so der rwandische Präsident, dass sie Reue zeigten und heute wieder friedlich Tür an Tür mit Überlebenden wohnen.

Zusammenarbeit vereinbart

Ruanda zählt zwar zu den ärmsten Ländern der Welt, hat aber eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung. Auch die Gesundheitsversorgung ist vorbildlich für ganz Afrika. Eine Krankenversicherung ermöglicht allen Ruandern Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Kindersterblichkeit konnte drastisch reduziert werden. In Ruli, gut zwei Autostunden von Kigali entfernt, hat die Delegation von Ministerpräsidentin Malu Dreyer eines der größten und ältesten Krankenhäuser des Landes besucht. Unterstützt wird es seit vielen Jahren von Partnern aus Kaiserslautern Stadt und Land. 21 Pflegeschüler und -schülerinnen haben dort gerade ihren Deutschkurs abgelegt. Ihr Wunsch ist, sich in Deutschland weiterzubilden und vorübergehend in Deutschland zu arbeiten. „Das kann eine Win-Win-Situation für beide Länder sein“, sagte die Ministerpräsidentin.

Paul Kagame und Malu Dreyer vereinbarten, ein rheinland-pfälzisch-ruandisches Modell zu entwickeln, um für beide Seiten dringend benötigte Pflegekräfte zu gewinnen. Ruanda habe sehr viele junge Menschen ohne Ausbildungsperspektive und Rheinland-Pfalz mehr Ausbildungsmöglichkeiten als Auszubildende. Eine Win-Win Situation könne daher darin bestehen, junge Ruander und Ruanderinnen in Deutschland aus- oder weiterzubilden im Bereich Pflege und ihnen die Möglichkeit zu geben, für einige Jahre in Deutschland zu arbeiten, bevor sie dann als hochqualifizierte Pflegekräfte zurück in Ruanda ihr Wissen weitergeben können.

Weitere Ergebnisse der Reise sind:

  • Konkrete Verabredungen für eine gemeinsame Strategie zur Fachkräftegewinnung,
  • neue Kooperationen in der Friedens- und Konfliktforschung mit der Friedensakademie Rheinland-Pfalz,
  • Weiterbildungsangebote für rheinland-pfälzische Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland und Ruanda,
  • multinationale Studienmöglichkeiten, die die Universität Trier für Studierende aus Ruanda und Deutschland anstoßen will.

Starke und gleichzeitig verwundbare Nation

First Lady Jeanette Kagame informierte Ministerpräsidentin Malu Dreyer über ihre Stiftung „Imbuta“, die sich vor allem der Förderung von Mädchen verschrieben hat. Frauen haben in Ruanda eine starke Stimme. Hier gibt es weltweit die meisten Frauen im Parlament, Unternehmerinnen sind der Motor der schnell wachsenden Wirtschaft. Sie werden staatlich gefördert und haben ein eigenes starkes Netzwerk. Die Emanzipation ist eng verknüpft mit der Katastrophe des Völkermords. Das Treffen mit den Organisationen AVEGA, der 90.000 Genozid-Witwen und -Opfer angehören, zeigt die unfassbare Stärke der Frauen, die alles verloren haben und das Land wiederaufbauen. Viele mussten mitansehen, wie ihre Kinder und ihre Ehemänner ermordet wurden, sie wurden brutal vergewaltigt und konnten lange nicht über ihr Schicksal sprechen.

Die rheinland-pfälzische Delegation besuchte die Gedenkstätte Nyamata. Eine Kirche, in der schutzsuchende Frauen und Kinder brutal niedergemetzelt wurden. Heute befinden sich hier die sterblichen Überreste von 45.000 Genozid-Opfern. Noch immer ist es eine große Aufgabe, die Namen aller Opfer zu recherchieren, denn oft wurden ganze Familien ausgelöscht. Keiner von ihnen soll vergessen sein.

Im Impinganzima Hostel, einem Altenheim für Genozid-Überlebende unweit der Gedenkstätte Nyamata, traf die Delegation von Ministerpräsidentin Malu Dreyer betagte und hilfsbedürftige „Intwaza“: Witwen und Witwer, deren Familien während des Genozides vollständig ausgelöscht wurden. Hier können sie das Unaussprechliche teilen und bekommen die Unterstützung, die ihnen ihre Familie nicht mehr geben kann. „Wer den Überlebenden zugehört hat, der weiß, wie stark und gleichzeitig wie verwundbar die Nation ist“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer zum Abschluss. | Quelle: Landesregierung Rheinland-Pfalz