Michael Nieden hat in diesem Jahr die Geschäftsführung des Partnerschaftsvereins in Mainz übernommen. Er besuchte unsere Pfarrgemeinde St. Martin, den Weltkircheausschuss, am 07. Juni 2011, und berichtete aus seiner langjährigen Erfahrung als Leiter des Koordinationsbüros in Kigali, wo er sieben Jahre lang gelebt und gearbeitet hat.
Es entstanden interessante Diskussionen und wir hatten spannende Einblicke in das aktuelle Zeitgeschehen und in die Entwicklung Ruandas.
Politik und Sicherheit
Die ruandische Regierung sei bestrebt, das Land zu einer Drehscheibe der Handelsströme in Zentralafrika zu machen. Insbesondere als Transitland zwischen der Ostküste und dem Ostkongo ist Ruanda von besonderer geografischer Bedeutung. Die Bodenschätze des Kongos sind von besonderem (welt)wirtschaftlichem Interesse. Der ruandische Präsident Paul Kagame habe sich zum Ziel gesetzt, Investoren in Ruanda Stabilität zu bieten und das Banken- und Finanzwesen anzusiedeln.
In Ruanda leben zurzeit ca. 11 Mio. Menschen auf einer Grundfläche, vergleichbar der von Rheinland-Pfalz (ca. 4. Mio. Einwohner). Etwa Dreiviertel der ruandischen Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Die Regierung steht unter einem hohen politischen Druck, das Land wirtschaftlich voranzubringen. Die Arbeitslosenzahl ist hoch und die aktuellen Ereignisse in der arabischen Welt werden von den jungen Menschen in Ruanda thematisiert. Politisches Vorbild Paul Kagames sei Singapur. Der ruandische Präsident vergleiche Ruanda mit einem Wirtschaftsunternehmen, mit Politikern der Lokalebene wurden z. B. Leistungsverträge geschlossen. Das politische Engagement konzentriere sich insbesondere auf die Region Kigali, wohingegen u. a. die Region“hinterm Nyunge-Urwald“ vernachlässigt werde. Michael Nieden betonte die dortige schwache Infrastruktur. Er bedankt sich für das besondere Engagement unserer Pfarrgemeinde in dieser Region gerade auch in der Zeit nach dem Erdbeben. Die Zusagen der UNICEF beispielsweise, hätten sich bis auf den Bau von zwei Schulen bis heute nicht erfüllt.
Ruanda betreibt zurzeit eine umstrittene „Politik gegen Strohdächer“. Die traditionellen Lehmhütten werden abgerissen oder niedergebrannt, da sie nicht mehr zeitgemäß seien. Das Vorgehen wird u. a. mit der beabsichtigten Verbesserung der allgemeinen Hygienesituation begründet. Absicht sei es aber auch, Dorfstrukturen zu schaffen, die funktionierende Infrastrukturen ermöglichen. Hierzu sollen die ehemaligen Hüttenbewohner in einfache Häuser zu Dorfgemeinschaften umgesiedelt werden. Der Neubau dieser Häuser habe noch nicht begonnen und die Umsetzung dieses Programms sei noch nicht ausgereift, da seien auf lokaler Ebene bereits im vorauseilendem Gehorsam die ersten Hütten niedergerissen worden. Die Politik richte sich hier vorwiegend gegen die Minderheit der Twas. Kritiker des Systems, u. a. Priester, seien verhaftet worden.
Die politische (Sicherheits)Lage Ruandas sei schwierig, gerade auch vor den Hintergründen der zurückliegenden Anschläge und Ermordungen in Südafrika und in Kigali. Es habe sich im inneren Führungszirkel eine eigene Opposition herausgebildet, ehemalige Militärs mit Verbindungen in den Ostkongo.
Ruanda blickt in eine ungewisse Zukunft.
Ruanda und Rheinland-Pfalz
Die Grünen der neuen Landesregierung in Rheinland-Pfalz stehen Ruanda, insbesondere vor dem Hintergrund der ruandischen Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr (die Wahl fand unter Ausschluss mehrerer Oppositionsparteien statt und war durch offenkundigen Wahlbetrug gekennzeichnet), kritisch gegenüber. Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung wurde festgelegt, in einen Rechtsstaatsdialog mit Ruanda einzutreten.
Ruanda und Kirche
Es bestehe ein Spannungsverhältnis zwischen der ruandischen Regierung und der Kirche. Kagames Regierung wirft der Kirche vor, dass sie den zur Zeit des Genozids amtierenden Erzbischof Ruandas in Rom schütze und er deshalb wegen der damaligen Geschehnisse in Ruanda nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne.
Die Kirche in Ruanda hat Grundbesitz, auf welchem u. a. Schulen gebaut wurden. Vom Staat fordere man nun, die Lehrer zu stellen bzw. zu bezahlen. Im Gegenzug hierfür stelle die Regierung jedoch Ansprüche auf den Grundbesitz, was ebenfalls zu Spannungen führe.
Cyangugu – Speyer – Kaiserslautern
» Hotelbau in Cyangugu: Michael Nieden befürchtet, dass sich die Diözese Cyangugu mit dem Bau des Hotels übernommen haben könnte. Es wurden teure Kredite (16% Kreditzins) aufgenommen, und die Aussicht auf einen Erfolg des Hotels scheint derzeit nicht gesichert zu sein. Die Region um Cyangugu sei touristisch uninteressant, im Kiwusee könne man dort nicht baden und die Region ist an kein Straßennetz angebunden. Gisenyi am nördlichen Rand des Kiwusee liege da besser. Die Stadt ist an das Straßennetz angebunden und verfüge bereits über mehrere Hotels (Gisenyi hat außerdem einen Sandstrand und liegt am Fuße des Vulkans Nyiragongo).
Herr Nieden beklagt die mangelnde Transparenz der Diözese Cyangugu, u. a. was den Neubau des Hotels angeht. Die ruandische Kirche sei als Partner daher etwas schwierig, Transparenz werde dort als Machtverlust angesehen. In Ruanda wurden Vorwürfe laut, Abbé Evariste habe Gelder abgezweigt, die für den Hotelbau bestimmt gewesen seien. Das Koordinationsbüro in Kigali sei daher bestrebt, Aufträge nur noch über das Büro zu vergeben und Rechnungen auf direktem Wege zu begleichen.
» Ausbildung: Herr Nieden schildert, dass man sich in bestimmten Regionen Ruandas durchaus bereits aus Infrastrukturprojekten herausziehen könne, z. B. was den Bau von Grundschulen angehe. Diese seien in ausreichender Zahl vorhanden und mehr als 80% der schulpflichtigen Kinder besuchen eine Schule. Herr Nieden sieht hier jedoch Verbesserungsmöglichkeit was die Lehrqualität, Schulausstattung und einkommensschaffende Maßnahmen angeht, unser Mühlen- und Seifenprojekt sei hier ein guter Ansatz.
Es sollte auch in kleinere Berufsschulzentren investiert werden. Nach der Schulausbildung – sollte diese abgeschlossen werden – sei für viele ersteinmal „Schluß“, dann bestehe kaum eine Möglichkeit der Aus- und Weiterbildung. Rheinland-Pfalz möchte sich in Absprache mit den ruandischen Behörden in die Entwicklung von Berufsschulen einbringen. Die Entwicklung dieser Berufsschulen stagniere zurzeit jedoch, u. a. weil der Minister, welcher sich der Sache angenommen hatte, umgesetzt worden ist.
Sofern solche Schulen schon bestehen, mangele es an „Basics“ – also an passendem Arbeitswerkzeug, Werkbänken, an der Kenntnis von Arbeitsmethoden und -techniken. Als Beispiel hierfür nennt Michael Nieden Schreinereien. Er rät derzeit davon ab, es gäbe ausreichend und diese lieferten schlechte Arbeit ab. Das Holz werde nicht abgelagert und nicht richtig verarbeitet. Die Arbeitsmethoden würden nicht angenommen werden. Man habe deshalb schon ganze Dachkonstruktionen aus Holz wieder abreißen müssen und diese durch Metallkonstruktionen ersetzt.
Im ganzen Land bestehe der Bedarf nach gut ausgebildetem Personal. Ein Bauunternehmer suche sich die Arbeitskräfte immer in der Region des Bauvorhabens aus.
» Umsiedlung in Shangi und Muyange
: Unsere Partnergemeinden sind von der Umsiedlungspolitik der ruandischen Regierung ebenfalls betroffen. Michael Nieden könne derzeit jedoch keine Prognose abgeben, wohin die Entwicklung in Shangi gehe. Ein neues Dorfzentrum könnte in Shangi oder in Bushenge entstehen. Kriterien seien das Vorhandensein eines Marktes, einer Kirche u. a.
» Energie: Das Methangasprojekt im Kiwusee laufe an und werde von den USA gefördert. (Eine Plattform fördert bereits in der Nähe von Gisenyi das Methangas aus dem See, woraus dann Strom erzeugt wird.) Es werden zurzeit regional Stromleitungen gelegt und somit bestehe wiederum Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften.
» Medizinische Versorgung: Die medizinische Versorgung sei seit der Einführung einer Krankenpflichtversicherung besser geworden. Die Versicherung koste pro Person umgerechnet ca. 2.- EUR im Jahr, für ganz Arme übernehme der Staat die Versicherungskosten. Für die Ausstattung der Gesundheitszentren sei mittlerweile ein Mindeststandard festgelegt worden.
» Ernährungssituation: Die Ernährungslage insgesamt sei gut. Die Landwirtschaft sei effizienter geworden, es haben sich mehr Kooperativen gebildet. Michael Nieden hebt das Projekt der Welthungerhilfe besonders hervor, dieses sei sehr gut angenommen worden. Sumpftäler wurden zu Ackerflächen umgebildet und eine Reisernte sei nun ganzjährig möglich. Die damit einhergehende Terrassierung sei jedoch ein Problem. Die Böden kommen nicht mehr zur Ruhe und so wird künstlich mit Düngemittel nachgeholfen. Diese seien jedoch teuer in der Einfuhr und kosteten ordentlich Devisen.
Die Ernährungssituation an Schulen habe sich hingegen verschlechtert. Durch die Heraufsetzung der schulpflichtigen Zeit auf nun 9 Jahre, bis zum 14. Lebensjahr (dann ist man „erwachsen“), ist nun eine größere Schülerzahl zu versorgen. Dorothea Fuchs schildert, dass die Schülerfonds deshalb u. a. zur Finanzierung eines Mittagstisches verwendet werden. Herr Nieden stellt fest, dass in diesem Zusammenhang Schulen, die von einem Schwesternorden geführt werden, besonders gut funktionieren. Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit Schwesternorden sehr gut.
Ruanda ist immer eine Reise wert, die beste Zeit hierfür ist im Februar. Die Regenzeit hat noch nicht begonnen und die Aussicht auf die Hügellandschaft ist überwältigend. Eine Delegation unserer Pfarrei St. Martin in Kaiserslautern wird vom 21. bis 30. Juni 2011 nach Ruanda reisen und dort unsere Partnergemeinden Shangi und Muyange besuchen.
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